Die "Entdeckung" des Klaubaufgehens für die Volkskunde und die kulturethologische Analyse des Brauchtums gehört ohne Zweifel zu den großen Verdiensten Otto Koenigs. Die "Matreier Gespräche" verdanken ihren jährlich festgeschriebenen örtlichen- und zeitlichen Rahmen dem spektakulären Treiben zur Festzeit des Heiligen Nikolaus (4. bis 6. Dezember). In ganz Tirol sind zu dieser Zeit die "Krampusse" oder "Perchten" unterwegs, um ihr Unwesen zu treiben, doch nirgendwo lassen sich die archaischen Strukturen dieser Tradition so gut beobachten wie in Matrei.
Klaubaufmaske um 1970
Otto Koenig hat das "Klaubaufen" aus dem gotischen "hlaupan" abgeleitet. Es bedeutet so viel wie springen, tanzen, davonlaufen. Das Suffix "auf" steht für eine plötzliche Aktivität. Im Klaubauf bündeln sich also dynamische und spontane Elemente, die im Treiben jener maskierten Gestalten lebendig werden, die nur in der Marktgemeinde Matrei "Klaubeif" heißen. Andere leiten den Begriff "Klaubauf" vom mittelhochdeutschen "klauber" oder "klouber" (= Kralle, Klaue) ab. Damit hätte sich der "Klaubauf", so wie auch die Bezeichnung Krampus aus einem pars pro toto Begriff entwickelt (Berger, 2000).
Der Heilige Nikolaus spielt im ritualisierten Klaubaufgehen eine wichtige Rolle. Zurückgehend auf die Legende des Bischofs von Myra (gest. um 350) besucht Nikolaus die Menschen in ihren Häusern, beschenkt die Kinder und nutzt seine Autorität, um Lob und Tadel zu verteilen. Zu den Begleitern des Nikolaus gehören unter anderem zwei Engel, die meist von jungen Frauen gespielt werden. Noch wichtiger sind "Lotter" und "Lütterin" (Bettelmann und Bettelweib), deren Darstellung zwei junge Burschen übernehmen. Sie treten meist in grober Kleidung oder einfacher Tracht auf, tanzen zur beschwingten Musik eines Akkordeons wild durch die Stuben und provozieren die Besuchten zuweilen durch anzügliche Gesten. Am Ende ihres Auftritts erbetteln sie eine kleine Geldspende und verschwinden dann so schnell, wie sie gekommen sind.
Zur Ausstattung eines Klaubaufs gehören die drei charakteristischen Ausrüstungsstücke Pelz, Geläut und Maske. Die gesamte Ausrüstung wiegt zwischen 20 und 30 kg. Der zottelige Schafspelz (früher wurde sonstige abgetragense alte Kleidung verwendet) läßt den Klaubauf größer und gewalttätiger erscheinen. In seinen Forschung konnte Otto Koenig jedoch keinen magischen Zusammenhang feststellen und verwies auf die alleinige Funktion des Kälteschutzes im Winter. Das aus ein bis sechs Glocken bestehende Geläut wiegt zwischen 6 und 18 kg und wird über einem ledernen Gestell auf dem Rücken getragen. Durch rhythmisches Wippen oder Springen bringt der Klaubauf die Schellen zum Klingen und erzeugt dabei einen weit zu hörenden, scheppernden Klang.
Klaubauf Laufen
Bei Stubenbesuchen mehrerer Klaubaufe kann der Lärm die Lautstärke eines Presslufthammers erreichen. Die ursprüngliche Bedeutung der Glocke ist eher banal, denn sie sollte vor allem das Kommen des Klaubaufs ankündigen und Harmlosigkeit unterstreichen. Die heute verwendeten Geläute erfüllen durch Umfang und Größe vor allem das Bedürfnis zu imponieren und befriedigen die Freude am ungezügelten Lärm. Das auffälligste Versatzstück ist zweifellos die große, bis zu 6 kg wiegende Maske, die dem Klaubauf sein individuelles "Gesicht" verleiht. Die traditionelle Maske wird aus Holz geschnitzt und farbig gefaßt. In Matrei wird die langsam aussterbende Tradition des Maskenschnitzers noch von Willy Trost (1914-2005) und nunmehr seinen Söhnen weitergeführt. Die notwendige Kunstfertigkeit und der hohe Zeitaufwand machen diese Masken zu unvergleichlichen Unikaten, die leider immer mehr von Larven aus Kunststoff verdrängt werden. In Matrei entwickelte sich ein besonderer Maskentyp, der sich durch asymmetrische und verzerrende Formen sowie eine große Variationsbreite auszeichnet. Das Spektrum reicht von Kahlköpfen und Totenschädeln, über affenähnliche Formen bis zu zotteligen Wesen, die an Hexen erinnern. Die Sehlöcher befinden sich meistens in den Nasenöffnungen, wodurch der Klaubauf noch größer und furchterregender wirkt. Die im übrigen Osttirol verbreiteten Hörner fehlen in Matrei, da sie bei den ritualisierten Raufereien hindern würden.
Klaubaufmaske, 1980
Der Ursprung des Klaubaufgehens liegt nach Otto Koenig im Werben, bzw. der Paarbildung. Aus wirtschaftlichen und klimatischen Gründen bot sich dafür die weniger arbeitsintensive Winterzeit an - ein Phänomen, dass sich auch in anderen Kulturräumen nachweisen läßt. Das Matreier Klaubaufgehen folgt einem verbindlichem Regelwerk, in dem Ort, Zeit und Formen des Handelns bestimmt sind. Nur Männern ist das Verkleiden und wilde Treiben erlaubt. Die Klaubaufe achten dabei streng auf die Wahrung ihrer Anonymität. In der Regel sammeln sie sich an den festgelegten Tagen bei Freunden oder in Hinterhöfen und Scheunen, kleiden sich dort gemeinschaftlich um und beginnen ihren Zug nach Einbruch der Dunkelheit. In kleineren Gruppen besuchen sie Gaststätten und Privatleute. Normalerweise erfolgt der Auftritt der Klaubaufe nach dem Besuch des Nikolaus. Sie stürmen unter dem Lärm ihrer Glocken in die Stube oder Wirtschaft und versuchen die Bewohner hinter den Tischen hervorzuziehen ("Tischrücken"). Das eigentliche Ziel der Klaubaufs ist der "Raub" junger Mädchen, die ins Freie gebracht, in den Schnee geworfen und gleich darauf aber wieder frei gelassen werden. Die männlichen Bewohner sehen dem Treiben natürlich nicht tatenlos zu und versuchen vor allem den Stubentisch, die wichtigste Barriere zu den Klaubaufs, zu verteidigen. Noch vor einigen Jahren wurde dabei nicht selten der Stubentisch im wilden Gerangel heraus gezerrt. Eine Praxis, die mit robustem Bauerninventar noch möglich war, heute aber nur noch gelegentlich praktiziert wird. Kommt es zu einem direkten Zweikampf zwischen einem Klaubauf und einem "Zivilisten", versuchen sich die Widersacher gegenseitig zu Boden zu reißen. Dabei packen sich die Kontrahenten an den Armen und probieren den Gegner durch Drehen auf den Boden zu werfen. Diese streng ritualisierten Raufereien sehen für den Außenstehenden recht dramatisch aus, verringern durch die klar definierten Spielregeln in Wahrheit aber die Verletzungsgefahr, die dennoch relativ gross ist. Durch die Veränderungen der Wohnsituation hat sich heute ein Großteil dieser Raufereien auf die Straße verlagert, wo sich überwiegend junge Männer mit den Klaubaufen messen. Es spricht manches dafür, daß der früher im Dezember schon reichlich vorhandene Schnee allzu harte Würfe abfedern sollte. Heute sorgen Ordner während des Klaubaufgehens dafür, daß die Gegenspieler in ihrem Treiben nicht zu weit gehen.
Der letzte Tag und Höhepunkt des Matreier Klaubaufgehens ist der Nikolaustag. Am Ende ihres Zuges, oft erst gegen Mitternacht, sammeln sich die Klaubaufe und treffen auf dem Matreier Hauptplatz auf die dort wartenden Zuschauer. Dabei wird nicht zwischen passivem Beobachter und jugendlichem Balger unterschieden. Am Ende der Raufereien weichen die Klaubaufe gemeinschaftlich zurück, um kurz darauf unter heftigem Geläut geschlossen auf dem Rauterplatz, der alten Dorfmitte, einzuziehen.
Mit einer Schlußrunde um den Heiligen Nikolaus, die allerdings erst in den 1980/90er jahren zum festen Bestandteil wurde, und dem Lüften der Maske ist das Treiben beendet.
In Matrei kann man das Klaubaufgehen teilweise noch in seiner ursprünglichen Art beobachten. Trotz zahlreicher Versuche, vor allem durch die Salzburger Bischöfe, das Klaubaufgehen einzuschränken, ist der Brauch erhalten geblieben. Vermutlich wird er in keiner Gemeinde so lebendig weitergeführt wie in Matrei - ein urwüchsiger Brauch, der zu einem starken, identitätsstiftenden Moment für die Bewohner der gesamten Marktgemeinde geworden ist.
Literatur:
Otto Koenig, Klaubaufgehen. Ein Maskenbrauch in Osttirol und der Gastein (= Wegweiser zur Völkerkunde, Heft 24), Hamburg 1980
Otto Koenig, Kulturethologische Betrachtungen des Klaubaufgehens, in: Maske - Mode - Kleigruppe. Beiträge zur interdisziplinären Kulturforschung. Hrsg. vom Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, München 1981, S. 45-58